Stellen Sie sich vor, Sie steigen am
Hauptbahnhof in ein Taxi und nennen ihr Fahrziel.
Kaum sind die Türen
geschlossen und Sie angeschnallt, drückt der freundlich lächelnde
Herr das Gaspedal durch.
Dem ersten Schreck ihrerseits folgt
keine Erleichterung, denn der Herr führt seinen Arbeitsauftrag
genauso durch, wie er ihn begonnen hat.
Er heizt mit 120 Sachen durch die
Innenstadt, überquert Kreuzungen egal welche Farbe die Ampeln gerade
zeigen, fährt eleganten Slalom durch Gegenverkehr, brettert über
Bordsteine und Sie klammern sich so sehr am Haltegriff fest das ihre
Fingerknöchel weiß werden.
Die Fliehkraft drückt Sie gegen die
Beifahrertür und Sie hoffen inständig dass das Metall der
Verriegelung ihr vervielfachtes Körpergewicht aushalten möge.
Am Stadtpark biegt er dann in die
Grünanlage ein, heizt durchs Gebüsch, weicht ein paar Bäumen und
den Spielgeräten auf dem Spielplatz aus, donnert durch das seichte
Wasser einer Kunstinstallation das die Enten nur so zu
Senkrechtstartern werden – und hält schließlich mit rauchenden
Reifen an ihrem Fahrziel.
Wenn sie trotz wackelnder Beine noch
den Nerv haben, ihn nach der Entlohnung zur Rede zu stellen, ihn zu
fragen weswegen er denn ein gefühltes Megabyte an Verordnungen und
Gesetzen gebrochen hat, was ihnen oder anderen hätte passieren
können, winkt er gutmütig ab.
Er erklärt ihnen das er alles im Griff
gehabt habe und weist sie auf die Tatsache hin, das Sie ihr Fahrziel
auf der schnellsten und ökonomisch günstigsten Route erreicht
haben.
Und hat damit zumindest sogar Recht.
Sie sagen mir jetzt das, so derlei
überhaupt geschehen würde, es sicher nicht die Regel sei. Auf Taxis
bezogen haben Sie damit auch Recht. Aber das liegt sicher nicht daran
das Taxifahrer derlei niemals tun würden. Das hat mit der Anzahl der
Zeugen zu tun, seinem Nummernschild, der Höhe von Bordsteinen und
einem gewissen Allgemeinwissen der Leute darüber, wie ein Taxi zu
fahren hat – und nicht zuletzt dem Umstand das er gesehen wird.
Wenn ihnen jetzt schon dämmert
weswegen in der Nacht manche Taxifahrer fahren wie die Irren – oder
die Damen der ambulanten Pflegedienste, die Zeitungsausträger oder
ab und an auch eine Polizeistreife, dann sind Sie schon auf dem
richtigen Weg.
Jetzt stellen Sie sich Berufsfelder vor
in welchen die Einzigen die den „Taxifahrer“ kontrollieren,
überwachen oder überhaupt sehen, andere Taxifahrer sind. Wenn
überhaupt, und er nicht völlig autonom handelt. Schwer vorstellbar?
Na, willkommen in der IT.
In allerbesten Absichten, die sich
meist darum drehen eine Aufgabe optimal, zügig, aufwandsgering oder
einfach nur geradlinig zu absolvieren, ist das Geheize durch den
Ententeich in diesem Berufsfeld absoluter Usus.
Aus deren Perspektive sogar vernünftig.
„Willst Du jetzt wirklich alle
fragen...“, „...das dauert doch x Stunden länger“, „...das
ist doch naiv..“.
Das Ziel in solchen Kreisen ist, das
die Maschinerie läuft. Der Rest ist Carne por la machina. Fleisch
für die Maschine.
Und in den allermeisten Fällen ist
diese Ausrichtung auch das Einzige was von diesen Menschen von
Dritten erwartet wird – sei es nun Auftraggeber oder selbst
vermeintlich im Prozess Geschädigten.
So funktioniert Technokratie.
So funktioniert Technokratie in jedem
Berufsfeld.
Und das ist eine jener Grundlagen die
man sich aneignen muss, wenn man so große Dinge wie die
Totalüberwachung durch us-amerikanische Geheimdienste verstehen
will.
Das dies nicht sehr verbreitete
Erkenntnisse sind, erklärt dann auch den aktuellenVerfassungsschutzbericht 2013. Achtzehn Seiten widmet dieser den
echten oder vermeintlichen Aktivitäten ausländischer Geheimdienste
aus den „anderen“ Kulturkreisen, zweieinhalb Seiten alleine den
Nordkoreanern. Das begründende Fazit erklärt weswegen:
„Wenngleich in Deutschland 2013 keine ausgeprägten operativenAktivitäten der nordkoreanischen Nachrichtendienste festzustellen waren, lässt die andauernde Unterstützung und ideologischeBeeinflussung südkoreanischer Anhänger des Regimes sowie dieversuchte Einreise von Nachrichtendienstmitarbeitern auf eineanhaltende Tätigkeit in Deutschland schließen. “
Eine Mutmaßung anhand von
Verdachtsmomenten, und das ist ja auch völlig okay. Holzauge sei
wachsam. Aber zugleich ist dies dann auch der Maßstab an welchem man
Seite 335 des Verfassungsschutzberichts messen darf, betitelt mit
„Nachrichtendienste westlicher Staaten“.
Meldungen und Berichte in den Medien gehen davon aus, dassauch Dienste westlicher Staaten Spionage in Deutschland betreiben.
Gerade die mit den Veröffentlichungen Edward Snowdens gegendie National Security Agency (NSA) und andere westliche Diensteerhobenen Vorwürfe verdeutlichen das mögliche breite Spektrumneuer Formen der Spionage. Dies wird in der Öffentlichkeit alseine Gefährdung neuer Qualität wahrgenommen: für die individuellen Rechte jedes Einzelnen wie auch für Politik und Wirtschaft. Im Raum stehen Vorwürfe, dass die NSA nicht nur technisch in der Lage sei, weltweit an Kommunikationsdateninsbesondere aus dem Internet zu gelangen, sondern dies in großem Stil – in enger Zusammenarbeit mit dem britischen Nachrichtendienst Government Communications Headquarters(GCHQ) – auch gegen Deutschland praktiziere.
Vorwürfe gegen NSADer Verfassungsschutz geht gemäß seinem gesetzlichen Auftraggewissenhaft jedem Anfangsverdacht von Spionage nach. Aufgrund der massiven Vorwürfe gegen Nachrichtendienste der USAund Großbritanniens hat das BfV bereits im Sommer 2013 eineSonderauswertung zur Aufklärung der Vorwürfe eingerichtet, diesich mit der Beschaffung und Analyse relevanter Informationenbefasst.Die Spionageabwehr muss sich stets auf den grundsätzlichenWandel durch Globalisierung, geopolitische Veränderungen undvariierende Bedrohungsszenarien einstellen. Hierzu gehört nebeneiner sorgfältigen Aufklärung von Verdachtsfällen auch der systematische Einsatz bedarfsangepasster Beobachtungsmodule. Politisch flankiert wird dieser Prozess durch die im Koalitionsvertragfür die 18. Legislaturperiode festgeschriebene Vorgabe: „Wir stärken die Spionageabwehr“. Auch der fraktionsübergreifend imDeutschen Bundestag eingesetzte NSA-Untersuchungsausschusswird hierzu weitere Impulse setzen.
Nun muss man fairerweise anmerken das
der Verfassungsschutzbericht im Allgemeinen Erkenntnisse mit längerem
zeitlichen Vorlauf zusammenfasst. Praxisgemäß wäre also der VfS
Bericht 2014 bzgl. der NSA Affäre interessanter. Oder auch nicht.
Denn bereits hier wird ersichtlich, das
Mutmaßungen aufgrund von Verdachtsmomenten nur in Bezug auf
unliebsame Regierungen legitim zu sein scheinen. Der
Verfassungsschutz macht sich die erwähnten massiven Vorwürfe von
„Medien“ oder „Öffentlichkeit“ nicht zu eigen.
Dahinter steckt u.a. auch die
unbestreitbar höhere Toleranzgrenze für Vergehen „befreundeter“
Staaten oder Kulturkreise mit denen sich das hiesige Establishment
bevorzugt assoziiert sehen will.
Selbst wenn das Ausmaß der von dort
verursachten Rechtsbrüche alles überschreitet was man zuvor auf
achtzehn Seiten diversen unliebsameren Interessensgruppen angedichtet
hat.
Das hat eine Menge mit unserem eingangs
erwähnten Taxifahrer zu tun. Denn Haltungen, wie sie in der
offenkundig politisch gefärbten Gestaltung des VfS Berichtes zu
finden sind, erwachsen nur aus der naiven Weltsicht, Übergriffe
hätten einen wie auch immer gearteten moralischen Hintergrund,
spielten vor einer Kulisse von Gut und Böse, mit guten Übergriffen,
bösen Übergriffen, Übergriffen guter Akteure, Übergriffe böser
Akteure.
Deswegen ist russische
Industriespionage ein schweres Vergehen – massives
Telekommunikationsdatenscreening inklusive dazugehöriger
Rechtsbrüche durch die USA eher nicht.
Es wäre für die Erörterung von
echten oder vermeintlichen Bedrohungslagen sicher hilfreich, wenn
sich alle Akteure der Faktenlage klar werden würden – nämlich das
vermutlich jeder Taxifahrer, so er denn könnte, sich ab und an oder
regelmäßig, der ihm an sinnvollsten erscheinenden Praxis bedient,
unabhängig seiner vermeintlich erleuchteten oder dunklen Absichten.
Der Befassung mit Realitäten würde es
schlichtweg sehr nützen, wenn weniger Zeit dafür aufgebracht würde
märchenhaften Projektionen der eigenen Wünsche hinterher zu jagen.
Der chinesische Datensammler unterscheidet sich in wenig bis nichts
von seinem us-amerikanischen Pendant. Er ist weder besser noch
schlechter. Das spielt für seine Arbeit keine Rolle.
Er tut was er kann auf dem für ihn
effizientesten Weg.
Und wer das verstehen und bewerten
will, der sollte sich damit auseinandersetzen wie technokratisches
Denken funktioniert. Wer sich damit nicht auseinandersetzen mag,
verbleibt zwar bequem in seinem Weltbild, geprägt davon ob ihm
damals die grünen oder roten (oder grauen) Plastiksoldaten lieber
waren.
Aber er versteht nicht was passiert und
er kann nichts zum Verstehen beitragen.
Was kann man nun vom Verfassungsschutzbericht 2014 erwarten?
Was kann man von den Informationen des aktuellen Berichtes halten?
Was kann man von den damit befassten Akteure erwarten?
/dev/null
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