Freitag, 1. August 2014

Realitäten 100

Selbsthass ist etwas was einem schon die Lebensqualität vergrätzen kann. Man fühlt sich absolut unwohl in seiner Haut, ist mit dem eigenen Handeln (oder Handlungsoptionen) massiv unzufrieden und wünscht sich in die Identität eines anderen.

Der Konflikt der NATO mit der Russischen Föderation im generellen, und der Ukrainekonflikt im speziellen, lässt in mir zumindest einen partiellen Selbsthass aufkommen, betreffend dem Teil meiner Identität der sich als Gesellschaftsbestandteil sieht.

Wir haben ja immer geglaubt in einem insgesamt brauchbaren System zu leben welches sich, zumindest mit einigen Mühen, nach und nach optimieren ließe.
Optimieren ist dabei schon eine gnadenlose Schönfärbung - unsere Probleme sind ja keine Petitessen - Eigentumsfrage, Apathie, Konsumismus und das Wechselspiel des Individuums mit dem digitalen Raum, dazu noch die grassierende Borniertheit und Ignoranz einer nicht unerheblichen Anzahl von Mitmenschen.
Aber doch, gefühlsmäßig, dachte man ja schon das da was gehen könnte. Wenn schon nicht vorwärts so wenigstens nicht unrettbar rückwärts.

Doch an diesem vermutlichen Wendepunkt der Geschichte zeigen sich Symptome, die man in ihrer Heftigkeit so gar nicht erwartet hätte.
Man ist ja schon geradezu dankbar für das Desinteresse der Bevölkerungsmehrheit, wenn man das Verhalten der interessierten Bevölkerungsminderheit einer genaueren Betrachtung unterzieht.

Die Mainstreammeinung der bürgerlichen Mittelschicht, vor allem präsentiert auch durch Leitmedien oder politische Repräsentanten (auch und vor allem meiner Partei, Bündnis 90/Die Grünen, als mglw. Mittelschichtspartei), lässt den Eindruck intellektuellen Totalversagens entstehen.
Es ist nicht einmal der Inhalt sondern vor allem die Art der Debatte, die Einen sich wünschen lässt, irgendwer anders, irgendwo anders zu sein.

Das völlige Verkennen von Ursache und Wirkung, das Vorverurteilen, die fehlende Selbstreflektion, die Arroganz, das Herabsetzen der anderen Kultur, die Dämonisierung, die Schwarz-Weiß Malerei, das selektive Verarbeiten von Informationen und vor allem der Umgang mit Kritikern im eigenen Land.

Man ist hier ein "Putin Versteher" wenn man es wagt gewisse Zweifel an manchen eklatant offensichtlich einseitigen medialen Darstellungen zu äußern, es gibt Menschen die in einer vermeintlichen Besorgnis über die psychologischen Ursachen einer nicht antirussischen Haltung sinnieren.
Genauso gut kann man auch gleich behaupten das man den Vertreter der anderen Meinung für geistig behindert hält. Im sozialen Miteinander findet sich wieder, was man den Russen als Staat unterstellt, Unterdrückung, unfaire Form der Auseinandersetzung, ein intellektuelles Niederbrüllen.
Vermutlich käme ich in einem autoritären Staat bei einer solchen Abweichung in den Knast, so wird einem zumeist entgegen gehalten.
Soll ich jetzt schon dankbar dafür sein, das man mich wenigstens nicht ins Gefängnis wirft?

Weswegen wird man auf SPON weg editiert wenn man nachfragt, ob die Behinderungen der Ermittlungen zu den Todesschüssen auf dem Maidan weiterhin von der aktuellen ukrainischen Regierung fortgesetzt werden?
Dürfen manche Dinge eben nur MONITOR oder Extra3 ansprechen?
Was ist mit dem Brandanschlag in Odessa?
Was sind die Ziele der ostukrainischen Föderalisten? Weswegen verwenden wir in diesem Land Kampfbegriffe zur vermeintlichen Erörterung von Sachverhalten?
Weswegen wird Russische Föderation ausnahmslos für alles verantwortlich gemacht, weswegen wird die verfehlte Politik des Westens nicht thematisiert, warum beginnt man einen Handelskrieg ohne erkennbare Zielsetzung?

Wie kann man überhaupt getrost den Wortbruch des Westens und die NATO Osterweiterung rechtfertigen mit dem Verweis auf die russische Reaktion auf - die NATO Osterweiterung?

Es gibt immerhin noch Wenige die es wagen sich gegen den Mainstream öffentlich zu äußern. Politiker gehören eher seltener dazu, Bündnisgrüne schon gar nicht.
Jakob Augstein schon länger, nun auch Julian Nida-Rümelin.

Dieser erklärt in seinem Artikel, weswegen die Begrifflichkeit Neo-Imperialismus in Bezug auf Russland eine gehörige Wahrnehmungsstörung ist, und beschreibt dabei so ganz nebenher die absurden Züge welche die gegenwärtige Debatte trägt.
Ob seine Kompetenz in Politiktheorie und Philosophie aber ausreicht um weltpolitisch-halbwissende Bildungsbürger aus Hintertupfingen oder Honorarjournalisten von BRILLE oder WUTZ zu einer Reflektion ihrer Geiferei zu bringen, darf getrost bezweifelt werden.

Früher konnte man ja noch sagen, man befände sich in einem verkommenen und heuchlerischen System, aber heute muss man zudem noch feststellen, von irrationalen Heuchlern umgeben zu sein, und prinzipiell eigentlich zu Ihnen zu gehören.

Das gilt für mich als Bundesdeutschen in gewisser Hinsicht wie für mich als Bündnisgrünen. Weswegen eine ehemalige Friedenspartei ihre außenpolitischen Stellungnahmen nahezu ausnahmslos kaltkriegerischen Scharfmachern wie Rebecca Harms oder Omid Nouripour überlässt, erschliesst sich mir nicht.
Weswegen in einer vermeintlich basisdemokratischen Partei die Haltung in einem solchen bedeutenden Konflikt eher nicht debattiert, sondern dem parteirechten ThinkTank Böll-Stifung, inklusive Marie-Luise Beck und Ralf Fücks, überlassen wird ebenso nicht.

Aber vielleicht lässt sich von den GRÜNEN im wesentlichen auf die ganze krakeelende Masse schließen, jene die NATO und CIA Fotos noch für unverrückbare Beweise halten.
Vielleicht ist es einmal mehr ganz einfach.
Die GRÜNEN hatten schon immer Schwierigkeiten damit zu erkennen, das es auch andere Sichtweisen zu Fakten geben kann.
Erst in Göttingen 2007 musste ihnen jemand erklären, das die vermeintlich nur freundlich aufklärenden Tornado-Jagdbomber der Bundeswehr von den Afghanen als "Spione" betrachtet wurden, jene Flugzeuge also denen die Bomben folgen.
Mit der Nase darauf gestoßen fiel es den Grünlingen aber dann doch relativ leicht zu verstehen, das es möglicherweise doch einfach ein anderer Kulturkreis ist, dessen Entrechtung von Frauen nicht unbedingt aus Bosheit resultiert, die man wegbomben kann.

Das fiel leicht weil die Afghanen anders aussehen. Genauso wie die Chinesen. Oder die Araber. Alles Kulturkreise die in Relation zum Russenbashing, bei den Bündnisgrünen noch gut wegkommen.
Ach ja. Schreit doch rum, oder gesteht es euch ein.
Die Russen sehen aber aus wie wir.

Es erscheint undenkbar das dieser Kulturkreis aus denselben Fakten andere Schlüsse zieht. Das geht nicht in unsere Schädel. Die Russen müssen verrückt sein. Oder indoktriniert, durch das russische Staatsfernsehen.
Zwar bevölkern Russen haufenweise das Internet, spielen WoW, crunchen BOINC, oder produzieren haufenweise Computerviren, aber nein, andere Medien lesen die nicht. TOR Tunnel kennen die nicht. Die können auch kein Englisch.
Natürlich nicht.
Die steigenden Umfragewerte für Putin in Russland mit eben unseren antirussischen Anfeindungen, unserer konkreten eskalatorischen Politik, in Zusammenhang zu bringen, das erscheint undenkbar.
Auch die Russen sind geistig behindert, so scheint die Ansicht zu sein.
Wie die hiesigen "Putinversteher".

In meiner Firma arbeiten zwei Kasachen, eine Russin und eine West(!)ukrainerin.
Sie sind alle, ausnahmslos, entsetzt über die hiesige Berichterstattung, über die Anfeindungen, die unkluge westliche Politik und tendieren daher allesamt, als Reaktion, zur Solidarität mit der Russischen Föderation und Vladimir Putin.

Vielleicht sollte die hiesige selbsterklärte gebildete Schicht ab und zu auch mal mit ihren Putzfrauen reden.





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